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Interview mit Sebastian Sauer von Freigeist

In unserem Interview spricht der Freigeist Sebastian Sauer über alte Biere, noch ältere Gebote und wirft auch einen Blick in die Zukunft.

Unsere klassische Einsteigerfrage: Welches deiner Biere würdest du Michael Jackson (dem Beerhunter) servieren und warum?

Wahrscheinlich wäre es ein Abraxxxas. Es war seinerzeit mein erstes Bier und ist nach wie vor ein sehr markanter Repräsentant aus meinem Portfolio. Es ist meines Wissens nach die erste Rekreation des ursprünglichen Bierstils „Lichtenhainer“ aus Thüringen und bietet mit seinem zugleich rauchigen und sauren Geschmack ein sehr einzigartiges Geschmackserlebnis.

Freigeist und The Monarchy. Was haben die zwei Gemein, was ist anders?

Ich habe Freigeist zusammen mit Peter Esser im Jahre 2009 gegründet und um mehr Freiheit und Individualität zu haben, habe ich im Jahr 2012 The Monarchy gegründet um eigenständiger zu arbeiten und meine Ideen noch besser zu verwirklichen. Mittlerweile bin ich alleiniger Inhaber beider Projekte.
Beide verbinden sich mit der Liebe zu historischen Bierstilen und ungewöhnlichen Geschmacksmomenten, wobei Freigeist sich mehr auf moderne Interpretationen versteht und The Monarchy etwas mehr klassisch und traditionell vorgeht.

Du braust vielfach alte Braustile. Wo holst du dir jeweils die Inspiration?

Geschichte gehörte immer zu meinen Passionen und so habe ich mich zwangsläufig beim Thema Bier auch mit dessen Historie beschäftigt. Das ich dort über Bierstile gelesen habe, die ich nicht kannte, die aber sehr spannend waren und die es nicht mehr gab, war der Wunsch sie wieder auferstehen zu lassen gleich gegeben. Genaue Beschreibungen und vielfach auch Rezepte findet man in alten Brau- und Bierbüchern aus den unterschiedlichsten Zeiträumen und den unterschiedlichsten Regionen

Ein Bier von dir wird in der Schweiz als Adam-Bier verkauft. Was ist ein Adam-Bier?

Adambier, auch als Dortmunder Altbier bekannt, ist eine Variante des Altbiers, die in den 1960er Jahren ausgestorben ist. Es handelt sich um eine stärkere, leicht rauchig und vor allem säuerliche Version und hat in meiner Rekreation mit Namen “Methusalem” 10% Alkohol.

Wann wird der Moment kommen, wann es keine “neuen” alten Bierstile mehr zu entdecken gibt?

Das wird noch sehr lange dauern. Vor allem gibt es ja innerhalb eines einzelnen Stils die unterschiedlichsten Varianten – nicht nur in unterschiedlichen Jahren, sondern auch sogar bei vielen Brauereien.

Was kommt als nächstes und demnächst von Freigeist und Monarchy?

Bis dato habe ich vor allem recht spezielle und experimentierfreudige Bierstile gebraut. Das wird auch weiter so gemacht wobei auch etliche normale Interpretationen von Standardbieren sowie noch wesentlich extremere Spezialbiere hinzukommen.

Du braust nicht nur, sondern bist auch als Importeur unterwegs? Warum? Und wie verändert sich die Branche?

Mein Import-Thema habe ich im letzten Sommer an einen befreundeten Kunden abgegeben. Dies habe ich zeitgleich mit Freigeist angefangen um sehr gute ausländische Biere nach Deutschland zu bringen. Dort herrschte zu dem Zeitpunkt noch absolute Diaspora. Mittlerweile tut sich mehr und mehr in Deutschland, wobei die Szene sich immer noch in den Kinderschuhen befindet.

Wird sich die Entwicklung in Deutschland noch weiter beschleunigen oder bereits schon wieder verlangsamen?

Definitiv beschleunigen.

Was machst du am 23. April 2016?

Ich braue mit einem befreundeten Kollegen ein Bier gegen das Gebot.

Das wäre und das heissen wird?

Abwarten 🙂

Wo wäre die deutsche Brauindustrie heute, wenn es das Reinheitsgebot nicht gäbe?

Solche theoretischen Aussagen sind sehr schwierig. Ich denke, dass wir mit Bestimmtheit eine größere Sortenvielfalt in Deutschland hätten und viel von unserer Kultur noch bestehen würde. Die Gose ist quasi der einzige historische Nicht-Reinheitsgebot-Bierstil, den es heute noch gibt. Ohne Reinheitsgebot würde es mit Sicherheit mehr geben.
Auf der anderen Seite hätten wir ggf. ohne diese ganzen restriktiven Bemühungen keine so klassische und standhafte Brauereilandschaft gehabt. Ich denke, dass wir am Ende des Tages mehr Offenheit im Thema gehabt hätten und sich mehr kleine Brauereien etabliert hätten. Dies erfolgt jetzt endlich durch den Craft-Beer-Trend in Deutschland, wenn auch recht verspätet

Angesichts des “Milk Stout”-Urteils, wie lässt sich damit arbeiten?

Das zeigt ja nur, dass man umso dringlicher gegen diese Maßnahmen und diese Denkweise vorgehen muss. Brauer müssen wie alle anderen Lebensmittelhandwerker ihre kreative Freiheit haben. Sinnvoll begrenzt wird das Thema ja schon von den EU-Bestimmungen, die als Richtlinie für uns gelten sollten, sodass der Verbraucher nur einwandfreie Produkte vorgesetzt bekommt. Die angeblich vom Bayrischen Brauerbund angekündigte Reform des Reinheitsgebots sehe ich daher als reines Lippenbekenntnis.

Trotzalledem, was ist am Reinheitsgebot gut?

Mir fällt nichts direkt dazu ein. Man kann diesbezüglich Theorien diskutieren, aber die sind nicht zwangsläufig mit der Restriktion verbunden. Es gibt auch tolle Biere nicht-deutscher Prägung mit den klassischen Zutaten beispielsweise in England, da manche Stile einfach keine weiteren Zutaten als Ergänzung brauchen. Diese wurden auch ohne Reinheitsgebot kreiert. Es wird ja nicht nur mit Chemie und unnötigen Zutaten in Ländern außerhalb Deutschlands gebraut….

Deutsches Reinheitsgebot oder Schweizer Kartell, welches ist/war die festere Fessel?

Beides sind natürlich Fesseln, aber auch nicht die einzigen. Als Fessel empfinde ich beispielsweise auch, dass der Löwenanteil der Gastronomie sich in entsprechenden Verträgen befindet oder sogar Brauerei-Pachtobjekte sind, die es fast unmöglich macht sie als kleine Brauerei zu beliefern. Dies ist aber kein rein deutsches Problem.
Nun, das Reinheitsgebot beschränkt halt “nur” die Vielfalt der Biersorten und die Kreativität der Brauer, wohingegen das Schweizer Kartell eine allumfassende Regulierung und Restriktion für den Schweizer Biermarkt war. Im Direktvergleich wäre dann das Kartell schlimmer, wobei das Reinheitsgebot nicht die einzige Beschränkung in Deutschland ist. Hier wird auch immer noch versucht, den Einfluss von ausländischen Bieren so gering wie möglich zu halten, u.a. mit der Einwegpfand-Regelung für Flaschen.

Wann wird das Reinheitsgebot abgeschafft?

Am liebsten gestern….

Welche Region in Deutschland ist punkto innovativer Brauer, denn momentan am spannendsten?

Dafür muss man erst einmal den Begriff “innovativ” definieren. Das tausendste IPA zu brauen empfinde ich nicht als innovativ. Dementsprechend findet bis dato noch sehr wenig Innovation in Deutschland statt. Frühe und von mir geschätzte Wegbegleiter sind aber beispielsweise der Bayrische Bahnhof in Leipzig und Gänstaller Bräu im Bamberger Umland. Leider sind die spannenderen Kreationen meist nur im Ausland erhältlich.

Du pflegst auch viele Kontakte in die Schweiz und bist auch immer wieder hier anzutreffen. Gefällt es dir hier gut, oder freut dich als Händler besonders die Frankenstärke?

Die Schweiz ist nicht nur ein sehr schönes und interessantes Land mit netten Menschen, sondern war für mich in meiner Anfangszeit im Bierthema auch immer sehr inspirierend und spannend. Hier konnte ich schon vor meinem Einstieg in das Brauthema höchst ausgefallene und großartige Biere probieren. Die Szene in der Schweiz war schon früher sehr viel lebhafter zu einem Zeitpunkt als in Deutschland wirklich jeder nur Helles, Dunkles und Weizen kannte.

Und zum Schluss noch ein Klassiker: Welche fünf Biere muss man in seinem Leben, deiner Ansicht nach, probiert haben?

Es gibt natürlich sehr viele Biere, die man probiert haben sollte, aber um die symbolische Zahl von fünf Bieren zu bewahren:
• ein klassisches, gut gemachtes (fränkisches) Lager, z.B. Witzgall Landbier oder Roppelt Kellerbier
• ein robustes Stout/Porter, z.B. von The Kernel oder Dark Star
• ein Schlenkerla Rauchbier, vorzugsweise Eiche oder Urbock
• ein spontanvergorenes, saures Bier (gerne auch mit Früchten), z.B. Cascade The Vine oder 3 Fonteinen Oude Geuze
• … und am Ende des Tages auch ein hervorragendes US-IPA, z.B. Alpine Nelson oder etwas entsprechend Hopfiges von Pizza Port

2 comments
  1. Gary Lorentzen

    Ich finde dieses Interview hoch interessant. Ich wohne in Portland Oregon, USA, vermutlich die Bier-Hauptstadt in Amerika, und wir brauen zu Hause, wie so viele anderen hier, und haben drei Za:pfe im Hause. Es gibt im Moment mehr als 80 Brauereien in der Stadt, viele von denen sehr experimental, wenn auch nicht zu experimental, und das Bier, meinem Geschmack nach, untrinkbar. Das ist vielleict ein Nachteil wenn es zu viele Brauerein gibt, und die Konkurrenz so stark ist, dass man das Bedu:rfnis hat, immer extremere Biersorten zu brauen. Biersorten von Freigeist sind auch hier zu erhalten, und ich, perso:nlich, trinke Freigeist gern. Ja, etwa experimental sind sie doch, aber im Vergleich damit was hier gebraut wird, finde ich das Bier relativ ’sessionable›. Ich freue mich auf den Tag, wenn in Deutschland das Reinheitsgebot nicht mehr herrscht, und Brauereien wie Freigeist befreit werden ko:nnen, so kreativ wie mo:glich zu werden.

  2. Ein Brauer

    Sebastian hat den Kern des deutschen Reinheitsgebotes leider nicht verstanden:

    Das Reinheitsgebot regelt nicht nur, was ins Bier darf, sondern vor allem, was zum Brauen NICHT verwendet werden darf. Im Unterschied zu Brauereien im Ausland dürfen deutsche Brauereien, die Bier nach dem Reinheitsgebot herstellen und es auch so deklarieren, bis heute keine Aromen, keine Farbstoffe, keine Stabilisatoren, keine Enzyme, keine Emulgatoren und auch keine Konservierungsstoffe verwenden.
    Das Bierbrauen bleibt nach wie vor auf die Verwendung der vier natürlichen Zutaten Wasser, Malz, Hopfen und Hefe beschränkt – und ist dadurch deutlich aufwändiger und anspruchsvoller als in den meisten ausländischen Brauereien.
    Nach dem deutschen Lebensmittelrecht sind für Bier, gebraut nach dem Reinheitsgebot, keine Zusatzstoffe zugelassen, während das europäische Zusatzstoffrecht in Verordnung (EU) Nr. 1129/2011 diese Zusatzstoffe erlaubt: E 150 a–d Zuckerkulör, E 210, E 211, E 212, E 213 Benzoesäure, E 200 – E 203 Sorbinsäure, E 220 – E 228 Schwefeldioxid, E 270 usw. Die Liste ist lang.

    Will Sebastian ernsthaft zurück zum EU-Gebräu??

    Übrigens: Wer vom Reinheitsgebot abweichen und internationale Bierstile brauen will, etwa ein Witbier mit Orange und Koriander, kann das in 15 Bundesländern (außer Bayern) ebenfalls tun. Where is the problem?

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