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Reinheitsgebot: Behandle es mit Gleichgültigkeit

Brautag für Wortspiele #2 in Rapperswil bei der Bierfactory

Wenn Bier einen interessiert, hat er wohl schon vom Reinheitsgebot gehört. Und war auf den ersten Blick beeindruckt: 500 Jahre Tradition, im Alleingang die Deutschen vor Hunger und Vergiftung bewahrt. Wenn man dann aber etwas weiterliest, merkt man bald, dass diese heroischen Geschichten mehr Legende denn Realität sind. Während es für ein Kind okay ist zu glauben Robin Hood und Wilhelm Tell hätten tatsächlich gelebt, ist es wichtig als Erwachsener zu akzeptieren, dass es sich um fiktionale Charaktere handelt, wie auch die Legende vom Reinheitsgebot Fiktion ist.

Es wurde bereits viel geschrieben darüber, wie das Reinheitsgebot als Legende verklärt und zum Marketing-Werkzeug wurde (zum Beispiel hier und hier und hier und hier). Dies hier soll keine weitere solche Erklärung werden. Dieser Post möchte versuchen den bestmöglichen Weg zu bieten, um mit dem Reinheitsgebot umzugehen. Namentlich mit respektvoller Gleichgültigkeit. Gleichzeitig ist das hier auch ein Versprechen, dass dies die letzten Worte sind, die wir hier über das Reinheitsgebot verlieren werden.

Wir haben Wortspiele veranstaltet um das zu feiern, – nicht nur, was Bier sein kann, sondern – was Bier ist. Demzufolge ist der Begriff „Gegenveranstaltung“ wie in der NZZ am Sonntag benutzt nicht korrekt – wir haben gegen nichts demonstriert. Dieser Artikel zum Anlass des Geburtstags des Reinheitsgebots war einer von vielen. Es gab sowohl Gute wie Schlechte wie Hässliche.  Es gab den Beitrag im Sonntagsblick in welchem der Präsident einer Organisation, die „Biervielfalt“ im Namen trägt, sagt Fruchtbiere seien ihm egal und er sich gleichzeitig fürs Reinheitsgebot einsetzt – und zu guter Letzt den Leser drei dunkle Lager empfiehlt. Weitere unzählige Artikel, die das Reinheitsgebot lobten, wurden publiziert und sogar Herr Schneider von Schneider Weisse hat ein offizielles Statement verfasst, in welchem er erklärte, wie sehr er das originale Reinheitsgebot von 1516 huldigt. Die Ironie dahinter, dass keines seiner Weizenbiere nach dem Gebot von 1516 erlaubt wären, liegt fern von jedem Verständnis.

Warum gibt es diesen riesigen und teilweise verzweifelten Effort totale Loyalität zu schwören, als wäre das Reinheitsgebot eine Religion und es würden drakonische Strafen drohen, wenn man nicht seine Zugehörigkeit bekundet? Wir haben eine kontroverse Theorie, welche auch als Metapher bezeichnet werden kann. Sie ist uns während des Zähneputzens eingefallen. Es wird also Löcher in dieser Theorie haben und wir sind froh, wenn wir auf diese hingewiesen werden.

Das Reinheitsgebot ist ethnozentrischer Kulturimperialismus – oder kulinarischer Imperialismus. Mit grosser Arroganz erklärt es, was ausschliesslich Bier sein darf. Die Primitiven in Finnland mit ihrem Sahti, die Barbaren in Belgien mit ihrem Wit, die Wildlinge aus Peru die Chicha brauen oder auch die rückständigen Leipziger Brauer die diese Gose machen – alles minderwertige Biere oder eigentlich überhaupt kein Bier! Das Denken folgt demselben Muster und Dynamik, die eine SVP oder UKIP erfolgreich machen. Es ist die Angst einen privilegierten Status zu verlieren, nicht mehr der Höhepunkt der Entwicklung zu sein, zu akzeptieren, dass andere plötzlich ebenso gut sind. Diese Angst wird durch Globalisierung und die verschwindenden Theorien von besseren und schlechteren Ländern und Rassen geschürt.

Und hier ist jetzt der Punkt erreicht, der ein offensichtliches Dementi verlangt: Das Reinheitsgebot und seine Verfechter sind nicht rassistisch. Aber dessen Status zu verteidigen stammt von derselben Arroganz und Gefühl der Überlegenheit, das dem ethnozentristischen Denken auch zugrunde liegt (es liegt übrigens auch dem irrationalem Verhalten von Apple Fanboys zugrunde).  Es kann nicht begreifen, dass sein Bier nicht mehr das Beste ist und der Neid der Welt hervorruft. Wenn eine amerikanische Brauerei am World Beer Cup mit einem Bier in den deutschen Stilkategorien gewinnt, dann muss der Wettbewerb gezinkt sein, die Richter Fehler gemacht haben. Die Befürworter des Reinheitsgebotes können nicht mit der Idee umgehen, dass sie nicht mehr per Standard das beste Bier machen. Sie sind nicht fähig, solche Resultate als Motivation und Herausforderung zu sehen ein noch besseres Märzen zu brauen.

Darum haben wir das Gefühl, dass es nur eine Möglichkeit gibt mit dem Reinheitsgebot umzugehen: respektvolle Gleichgültigkeit. Den Wert des Gebots verstehen und seinen Beitrag an die Entwicklung der Kunst des Brauens anzuerkennen. Gleichzeitig aber verneinen, dass es alles diktiert was wir machen, mögen, schätzen oder fördern.

P.S. Tatsächlich ist Gleichgültigkeit in Deutschland nicht genug – siehe auch die Beispiele von Klosterbrauerei Neuzelle  oder Camba Bavaria oder Riegele. Wir hoffen, dass die Brauer in Deutschland und in Bayern speziell bald den Moment erreicht haben, an dem sie sich von den Fesseln des Reinheitsgebots befreien können. Das Jubiläum wäre hierzu ein guter Zeitpunkt den Kampf aufzunehmen!

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