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Über 1000 Brauereien – zu viele für die Schweiz?

«Die Schweiz, ein Land der Brauer» titelte kürzlich «der Bund» zur Tatsache, dass mittlerweile über 1000 Brauereien bei der Zollverwaltung registriert sind. Und wie in jedem Artikel zu diesem Thema steht da auch, dass die Schweiz damit die höchste Brauereidichte der Welt hat. 1000 Brauereien für die kleine Schweiz und bei einem pro Kopf Konsum von nur 54 Liter pro Jahr, das scheinen zu viele Brauereien zu sein.

So sieht es zumindest auch SRF. «Craft Beer – wann läuft das Fass über» war der Titel der Sendung Input im Mai dieses Jahres Die Botschaft: es wird zu einer Bereinigung kommen. Und als folge der Markt den Unkenrufen, waren seither mehr Brauereipleiten in den Medien, als die Jahre davor. Da wäre die in der Craft-Beer-Szene beliebte Berner Brauerei 523, die Brasserie Haldemann aus Fribourg, das Baselbieter Bier und kürzlich kündigte auch die Lozärner Bier AG das Aus an. Ebenso ist die Em Basler sy Bier-Idee GmbH in Liquidation.

Es stellt sich also die Frage: Steht der Craft-Bier-Boom in der Schweiz kurz vor dem Kollaps? Sind 1000 Brauereien zu viel für die kleine Schweiz? Eine etwas detaillierte Analyse des Brauplatzes Schweiz tut Not.

Brautag für Wortspiele #2 in Rapperswil bei der Bierfactory

Ab Nano in der Statistik

Die kleine Schweiz hat also die grösste Brauereidichte der Welt. Doch 1000 Brauereien in der Schweiz, sind nicht gleich 1000 Brauereien anderswo. Denn hierzulande gibt es vor allem Klein- und Kleinstbrauereien. Kleine Brauereien werden im Jargon «Micro-Breweries» genannt. In den USA gelten gemäss Brewers AssociationBrauereinen mit einem Ausstoss unter 1,76 Mio. Liter pro Jahr als «Micro-Breweries». Ein solch direkter Vergleich ist natürlich nicht fair, hat die USA doch rund 328 Mio. Einwohner, die Schweiz gerade mal rund 8,5 Mio., also rund 38,6 mal weniger. Die Schweiz ist also einen um diesen Faktor kleinerer Markt. Würde man nun die 1,76 Mio. Liter durch diesen Faktor teilen, so kommt man aber immer noch auf rund 45’600 Liter.

Ein Eintrag beim Zollverwaltung und somit in die aufgeführte Statistik ist jedoch in der Schweiz bereits mit 400 Liter Ausstoss Pflicht. Oder auch bei geringerer Menge, wenn man seine Biere verkaufen oder verteilen will. 400 Liter, also 4 Hektoliter, sind jedoch kein Vergleich zu 456 Hektoliter. Gemäss Zollverwaltung gibt es in der Schweiz gerade mal 79 Brauereien, welche mehr als 500 Hektoliter Bier produzieren. Alle anderen Brauereien sind also nicht einmal Micro-Breweries, sondern sogenannte Nano-Brauereien oder gehören zu den noch kleineren Pico Brauereien.

Und noch ein paar Zahlen mehr zum Brauplatz Schweiz: Im Jahr 2017 hatten 568 von 869 registrierten Brauereien, also 65% aller Brauereien, einen Ausstoss unter 20 Hektoliter. Alle diese Nanobrauereien produzieren zusammen keine zwei Prozent des Schweizer Biermarktes. Oder wie es im «der Bund» Artikel steht: 51 Brauereien produzieren 99% des Schweizer Biers. Und fast noch krasser: die zehn grössten Brauereien produzieren immer noch 90% des Schweizer Biers. Die meisten in der Statistik erfassten tragen also nicht entscheidend zum gesamten Ausstoss der Schweizer Brauereien bei.

Drei Gründe gegen eine Bereinigung

Es sind also vor allem Nano-Brauereien, welche dafür gesorgt haben, dass die Schweiz die höchste Brauereidichte der Welt hat. Wird hier das grosse Brauereisterben stattfinden? Findet hier die im SRF Artikel angesprochene anstehende Bereinigung statt?

Betrachten wir mal zuerst die Voraussetzungen, damit es zu einer Bereinigung kommt. Eine Bereinigung findet in einem freien Markt dann statt, wenn die Einnahmen die Kosten nicht mehr decken können, z.B. weil die Kosten aufgrund eines Überangebots und einem daraus resultierenden Preiszerfall nicht mehr gedeckt werden können.

Dass sich ein solches Überangebot einstellt, scheint unvermeidlich, denn es gibt immer mehr Brauereien, aber es wird nicht mehr Bier getrunken. Dies ist wohl auch die Gedankengrundlage für die im SRF Beitrag angesprochene Bereinigung. Und an der Grundlage ist nichts falsches dran. Denn zur zunehmenden Zahl der Brauereien kommt noch dazu, dass es Craft-Brauereien wie White Frontier oder La Nébuleuse gibt, die ihre Kapazitäten in den letzten Jahren massiv ausgebaut haben – aufgrund einer entsprechend gestiegenen Nachfrage an Craft-Bier.

Dieses Überangebot wird zu einem gewissen Preisdruck führen, nur muss dieser noch lange nicht in einem Brauereinsterben enden, welches sich dann in der Statistik der Zollverwaltung niederschlägt. Und zwar aus folgenden drei Gründen.

Erstens: Wer nur ein paar Hektoliter Bier braut pro Jahr, kann unmöglich davon leben. Brauen ist dann ein Hobby, ein kleiner Nebenverdienst. Entsprechend müssen keine marktüblichen Löhne bezahlt werden. Eine Bereinigung würde erst dann wirklich stattfinden, wenn viele dieser Nano-Brauereien professionalisiert wären statt als Hobby oder Teilzeit betrieben zu werden. Gut möglich, dass einige ihr Hobby aufgeben. Die breite Masse erfährt dies jedoch nie, vielleicht nicht einmal die Zollverwaltung.

Zweitens, weil wie erwähnt die Nachfrage nach Craft-Bier gestiegen ist. Verlieren werden also vor allem Hersteller von Standardbieren, auch wenn diese Entwicklung langsam vor sich geht. Da der Konsum von Craft-Bier in der Schweiz am gesamten Bierkonsum immer noch verschwindend klein ist, gibt es da noch viel Potential. Und mit steigendem Konsum können mehr kleine Craft-Brauereien überleben. Zum Vergleich: Auch in den USA wird weniger Bier getrunken, minus 1% waren es 2017, aber der Konsum von Craft-Bier stieg um 5%.

Und ein dritter Punkt der auch gegen eine Bereinigung spricht: In den USA geht der Trend zu mehr Craft-Bier ungebremst weiter. Mit dem Konsum steigen auch die Anzahl an Brauereien und nach einer kurzen Erholungsphase in den frühen 00er Jahren hat sich die Anzahl der Brauereien in den letzten 10 Jahren mehr als verdreifacht. Allein in 2017 sind über 1000 Micro-Breweries und Brewpubs dazugekommen, aber nur 165 haben den Betrieb eingestellt.

Flight at Green Bench Brewing in Florida

Drei Gründe für eine Bereinigung

Dies alles spricht gegen eine Bereinigung, womit ein Gegentrend im grösseren Umfang, also 150-200 Brauereien die schliessen, gemeint ist. Trotzdem gibt es auch Gründe, welche für mehr Brauereischliessungen in der nächsten Zeit sprechen. Wie sich jedoch mit 523 oder der Baselbieter Brauerei gezeigt hat, werden es vor allem die schwierig haben, welche irgendwo zwischen Nano und Mikro Brauerei liegen und sich schon professionalisiert haben.

Ein Grund dafür dürfen einerseits die hohen Lohnkosten in der Schweiz sein. Brauen allein ist schon sehr zeitaufwändig. Kommt jedoch dann auch noch Abfüllen, Etikettieren und Verpacken dazu, welches manuell oder nur halb automatisiert erfolgt, wird es doppelt schwierig, die Kosten zu decken und profitabel zu sein.

Ein zweiter Grund liegt in den hohen Investitionskosten beim Ausbau der Kapazitäten. Bier bietet zwar hohe Grössen- bzw. Skaleneffekte, d.h. der Arbeitsaufwand steigt nicht merklich, ob nun 500, 5000 oder 10’000 Liter Bier gebraut werden. Vollautomatisierte Produktionsanlagen sind jedoch sehr teuer und ziehen Folgekosten wie neue Abfüll-, Etikettier- und Verpackungsanlagen sowie ein massiv höherer Platzbedarf für Gär- und Lagertanks nach sich. Dafür das nötige Kapital zusammen zu bringen, das wird nur wenigen gelingen.

Sollte dies trotzdem gelingen steht auch noch eine dritte Hürde an. Das viele Bier muss auch noch verkauft werden. Der Regalplatz bei den Schweizer Detailhändlern ist jedoch limitiert. Zwar haben Coop und Manor ihr Craft-Beer Sortiment in den letzten Jahren ausgebaut, jedoch haben es bisher nur wenige Schweizer Brauereien zu einer schweizweiten Präsenz in den Regalen geschafft. Für Spezialitätenläden ist es manchmal einfacher UK-Biere bei einem Importeur zu beziehen, als Biere einer Nano-Brauerei aus einem anderen Landesteil, weil diese keine Vertriebskanäle hat. Der Vertrieb in die Gastronomie ist ebenfalls schwierig. Langjährige Verträge binden viele Bars und Restaurants an bestimmte Brauereien, welche ihnen im Gegenzug Zapfanlagen und Einrichtungen finanziert haben.

Trend zu Biervielfalt bleibt

So werden wir uns auch in Zukunft auf Meldungen einstellen müssen, dass liebgewonnene Craft-Brauereien oder regional verankerte Produzenten ihr Geschäft aufgeben müssen. Gleichzeitig wird jedoch die Gründungswelle von Hobby und Mikrobrauereien noch eine ganze Weile weiter gehen. Die zunehmende Anzahl an Craft-Bier-Festivals, Läden und Bierwanderungen zeigt, dass der Trend zur Biervielfalt noch ungebrochen ist. Natürlich stellen sich auch den Neuen die erwähnten Hindernisse in den Weg. Dies wird jedoch den Craft-Bier-Boom in den nächsten Jahren kaum bremsen können. Noch gibt es z.B. kaum Taprooms (wie bei White Frontier) oder Brewpubs (wie bei Bear’n’Stein) in der Schweiz, ein möglicher Weg, um höhere Marchen zu erzielen, das Vertriebsproblem zu lösen und die Etablierten zu umgehen. Dies zumindest meine Prognose. Ob ich richtig liege, wird die Zeit ja zeigen.

11 comments
  1. Andreas

    Super Artikel….. hoffen wir alle, dass der Boom nicht abbricht und wir auch in Zukunft gutes, unterschiedliches, handcraftedes aber vor allem ehrliches Bier trinken können. 🍻🍻🍻

  2. Curzio

    Eine frische Analyse und kluger Schluss. Biervielfalt bleibt und wird weiter wachsen. Im «service-oriented» Schweizer-Gastro-Szene sollte Craft-Bier-Verbrauch weiter steigen, auch als Differenzierungsmerkmal gegenüber Wettbewerber. Gastrosuisse gibt sich Muhe in Richtung «Bier-Sommelier für eine breite Biervielfalt», das passt in der anspruchsvollen Gastro-Szene. Neben Taprooms und Brewpubs, zeigen Bier-Abo (Bierliebe, Smart-Beer, …), Bier-Adventskalender, die Bier-Wettbewerbe bei Festival und die Versuche, Hopfen und Malz lokal zu produzieren, dass das Interesse in der Craft-Beer-Bewegung gross bleibt und Potenzial wahrscheinlich noch nicht komplett ausgeschöpft ist. Buon Anno!

    1. jan

      Danke für deinen Kommentar und die Ergänzungen. Ich hoffe sehr, dass sich Craft-Beer in Zukunft in mehr Restaurants und Bars finden lässt. Noch sind es leider die Ausnahmen. Und richtig, Bierabos, Bier-Adventskalender usw. zeigen, dass das Interesse beim Konsumenten steigend ist.

  3. Marco

    Toller Artikel!

    Was mich nebst der Brauereien und deren Biervielfalt viel mehr stört, dass Mengen von Menschen mit dem Schweizer Titel «Biersommelier» meinen, sie hätten die Craft Beer Szene neu erfunden. Bedenke man dass die Meisten keine Ahnung haben!

    Bierversuche.ch, macht weiter, schön gibts euch! 👍🏻

    Grüsse aus der Ostschweiz

  4. Bov

    Sehr gute Analyse.
    Einige Bemerkungen:
    – es sind zurzeit ~ 200 registrierte «Brauereien», die zwischen 0 und 4 Hl jährlich produzieren. Eine (temporäre) kleine Bereinigung könnte in den nächsten Monaten stattfinden.
    – damit die Glaubwürdigkeit der Zahl von registrierten Brauereien besser aussieht, soll die «Homebrew»-Grenze von 4 Hl erhöht werden (20 oder sogar mehr?) und «Brauereien», die weniger produzieren, sollen aus der Liste entfernt werden.
    – dass die Schweiz die höchste Brauereidichte der Welt hat, war in 2011 – wenn ich dies zum ersten Mal gesagt habe – schon falsch. Es ist heute immer noch falsch 😉

    1. Stef

      Genau: eine Brauerei unter 20hl sollte sich nicht anmelden müssen.
      Für meine ca. 9hl die ich im Jahr verkaufe, zahle ich etwa Fr. 125.-, soll mir einer weis machen, dass die Eidgenossenschaft davon profitiert. Es kommt dann auch noch der Lebensmittelinspektor, das Arbeitsinspektorat und vielleicht mal noch andere. Diese Inspektoren zahlt die Allgemeinheit…

      1. jan

        Dem kann ich nur zustimmen. 20hl wäre wohl eine realistischere Grenze. die 125.- für 9hl decken ja kaum die Kosten für die Rechnungsstellung geschweige denn für Lebensmittelinspektorat etc. Und bei 4hl sind es ja dann nicht einmal die Hälfte. Dass sich daran in Kürze etwas ändert ist aber unrealistisch. Die Kommission für Abgaben und Wirtschaft hat sich erst im November gegen die Abschaffung der Biersteuer entschieden und das aktuelle abgestufte System als «fair für kleine Brauereien» bezeichnet. Die sehen da kein Handlungsbedarf.

      2. Dani

        Hm, verstehe ich nicht ganz, da scheinen mir ein paar Sachen durcheinander zu geraten. Auch bei einer Steuerbefreiung für insgesamt 20hl (Eigenkonsum), müsstest du für die 9hl Steuern abdrücken. Bier das über den Verkaufstresen wandert, ist ab dem ersten Liter steuerpflichtig. Sicherlich wird die EZV kein Betriebsfest ausrufen, wenn Ende Januar deine 125.—überwiesen sind. Aber der Prozess ist mittlerweile für Nanobrauer ziemlich schlank, so dass durch die Bearbeitung deiner Biersteuerrechnung kein tiefes Loch in die Bundeskasse gerissen wird.

        Lebensmittel- und Arbeitsinspektorat werden kantonal geregelt und haben mit dem Biersteuergesetz nichts am Hut. Die würden deshalb auch dir vorbeigügseln, wenn es gar keine Biersteuer gäbe. Wobei sich das Arbeitsinspektorat eigentlich erst für dich interessiert, wenn du jemanden anstellst, der dir beim Gärtankputzen hilft  (mag aber auch kantonal unterschiedlich sein).

        Sicherlich sind die 1000 Brauereien irreführend, aber die weiter oben erwähnten 200 Brauereien die weniger als 4hl produzieren und verkaufen wären nach meinem Verständnis eben selbst bei einer Freimenge von 20hl noch auf der Liste. Verschwinden dürften nur diejenigen, die tatsächlich nur für sich selbst brauen. Und da stellt sich halt die Frage, wie viele Homebrewer süffeln tatsächlich mehr als 400l (und sind ordnungsgemäss angemeldet), damit die Statistik an Glaubwürdigkeit erfahren würde.

        1. jan

          Meine Aussage ging mehr in folgende Richtung: keine Biersteuer bis 20hl (weil sich das steuerlich nicht wirklich lohnt, auch wenn natürlich eine Rechnung nicht 125.- an Kosten verursacht) und dann auch nicht in die Statistik (weil die für den Bierausstoss der Schweiz irrelevant sind und nur das Bild verzerren). Beides ist aktuell unrealistisch. Aber ja, das Lebensmittelinspektorat käme natürlich auch dann vorbei, wenn es keine Steuer gäbe.

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